RHEINPFALZ AM SONNTAG - vom 13.12.2015

Veröffentlicht
RHEINPFALZ AM SONNTAG - vom 13.12.2015

Sie sprechen über Kunst, Literatur, Philosophie, Politik und Gesellschaft: 

Von Berlin bis Düsseldorf/ Köln lassen Frauen die Salonkultur wieder aufleben. Mitdenken und mitreden ausdrücklich erwünscht.

Wenn Katrine Lihn in ihre Potsdamer Altbauwohnung zum Salon lädt, ist der große Tisch festlich gedeckt. Eine Tafel mit Kerzen und edlem Geschirr, auf dem ein Menü aus Brandenburger Köstlichkeiten kredenzt wird. Ein Ort, an dem das gute Gespräch bei einem guten Essen gepflegt wird. Für ihre Salonabende fährt die 54-Jährige schon mal aufs Land, um sich mit den besten Zutaten einzudecken. „Meinen Gästen gefällt, dass ich aus traditionellen Produkten abgefahrene Sachen koche“, erzählt Kathrine Lihn, die das historische Flair der brandenburgischen Landeshauptstadt Potsdam für genau den richtigen Ort hält, um einen Salon zu etablieren.

Einen Salon? Ganz richtig! Der eine denkt dabei an Autos, die andere an den nächsten Friseurtermin. Doch haben diese beiden mit dem Original nicht viel mehr gemeinsam als den Namen. Das,was in Europa zwischen 1750 und 1914 erst in Paris und später vor allem in Berlin weit verbreitet war, gilt noch heute als der Ort des freien bürgerlichen Denkens. Gebildete Damen luden zu einem jour fixe in ihre privaten Räume, um dem Gedankenaustausch auf hohem Niveau zu frönen. Wer einmal eingeladen war, durfte jederzeit wiederkommen. Häufig besuchte man mehrere Salons am Tag.

Um die Wende zum 21. Jahrhundert feierte diese Salonkultur namentlich in Berlin plötzlich eine Renaissance. Dieser erste Hype jedoch ist vergangen. Die Salonlöwen und Paradiesvögel sind weitergezogen. Geblieben sind die, denen es ernst ist mit der Salonkultur, und die Nachahmer und Gleichgesinnte in ganz Deutschland gefunden haben. Britta Gansebohm zum Beispiel. Sie war die Erste, die einen Salon nach historischem Vorbild in Berlin etablierte. In diesem Jahr feierte ihr Literarischer Salon 20. Jubiläum. Die Salonnière Gansebohm lädt zwar längst nicht mehr in ihre privaten Räume, sondern ins Berliner BKA-Theater. Doch steht ihr Salon prinzipiell für die Werte, die auch berühmte Vorbilder wie Johanna Schopenhauer, Rahel Varnhagen von Ense oder Henriette Herz vertraten: Wer Gast eines Salons ist, lässt Stand und Dünkel draußen, denn es geht nicht um Position und Ansehen, sondern um den Menschen und das Gespräch. Und darum, „die Gedanken auch mal eine andere Richtung nehmen zu lassen“, wie es Katrine Lihn formuliert. Man ist höflich im Umgang miteinander und offen für die Ideen des anderen. „In Salons finden Menschen zusammen, die sich etwas zu sagen haben – damals wie heute“, bringt es Nikolaus Gatter auf den Punkt. Als Vorsitzender der Varnhagen-Gesellschaft ist er einer der Experten auf dem Gebiet der historischen Salonkultur. „Die Salonnière ist im weitesten Sinn auch eine Mäzenin.“ Zu Rahel Varnhagens Geselligkeiten etwa kamen regelmäßig später berühmte Literaten wie Jean Paul, Heinrich Heine oder die Brüder Humboldt, rezitierten aus ihren Werken und diskutierten darüber mit den Anwesenden. Bei Britta Gansebohm hießen die jungen Unbekannten Alexa Hennig von Lange, Richard David Precht, Kathrin Röggla oder Felicitas Hoppe. Heute gehören sie zu den Vielgelesenen der zeitgenössischen Literatur.

Neben Britta Gansebohm und Katrine Lihn gibt es in Deutschland vielleicht noch acht weitere ernstzunehmende Salons. Daneben existieren zahlreiche institutionalisierte Gesprächskreise, die sich gern Salon nennen, etwa der Erotische Salon oder der Digitale Salon. Der Begriff Salon sei „durchweg positiv besetzt“, sagt die Historikerin Petra Wilhelmy- Dollinger, die das Standardwerk über die Berliner Salons geschrieben hat. Streng genommen sind auch die modernen Salons keine echten, denn die meisten Gastgeberinnen beteiligen ihre Gäste an den Kosten. Die Lyrikerin Konstanze Petersmann ist da eine Ausnahme. Sie spendiert in der Pause ihres Salons „Kunstsinn“ Crémant und Canapés. Doch lädt sie nur zweimal im Jahr 20 Gäste in ihr Düsseldorfer Wohnzimmer ein. Ihr historisches Vorbild ist Johanna Schopenhauer, die Mutter des berühmten Arthur. Johanna Schopenhauer stammte wie Konstanze Petersmann aus Danzig und unterhielt einen Salon, in dem auch Goethe verkehrte. Zu Konstanze Petersmann kommen Literaten, Wissenschaftler, Musiker und bildende Künstler. Sie wählt das Thema aus, sie wählt den Referenten und sie wählt auch die Gäste. „Meine Gäste sollen ja auch Freude an dem Thema haben“, begründet sie dies.

Gleich um die Ecke in Köln veranstaltet die Autorin und Künstlerin Rose Packebusch regelmäßig ihren „Salon Europa“. Auch sie wählt die Themen, die von der Kräutermedizin der Hildegard von Bingen bis zu philosophischen Fragen nach dem Perfektionierungswahn am Menschen reichen.

Politik und Naturwissenschaften spielen bei Christiane Nägler und Beate Hiller hingegen keine Rolle. Seit 2004 veranstalten sie einmal im Monat ihre „Salongesellschaft“ im Fachwerk in Martinsthal im Rheingau zu gesellschaftsrelevanten Themen. „Jeder muss mitreden können und es sollen auch alle mitreden“, betont Christiane Nägler. Wie in den anderen Salons auch nimmt die Diskussion einen großen Teil der gemeinsam verbrachten Zeit ein.

Zwar gaben die Salonnièren früherer Tage nur selten ein direktes Thema vor, doch waren auch sie wie ihre modernen Schwestern im Geiste Moderatorinnen der Geselligkeiten. Vor allem die Gastgeberinnen, die im Berlin des 19. Jahrhunderts ein dichtes Netz aus Salons knüpften – es gab zu den Hochzeiten um die 90, manche von ihnen wurden täglich veranstaltet – konnten so manches Gespräch durch einen klugen Gedanken in eine neue Richtung drehen. „Die Salons waren ein Teil der Frauenemanzipation, sie wirkten auf die Gesellschaft, die Frauen holten sich damit ein Stück ihrer gesellschaftlichen Reputation zurück, die ihnen das Aufkommen des organisierten Wissenschaftsbetriebes genommen hatte“, sagt Petra Wilhelmy-Dollinger. Bleibt die Frage, wo nun also das Revival der Salons einzuordnen ist. Eines ist sicher: Wer Salon sagt und Party meint, ist schnell wieder verschwunden. Damals wie heute ist es die Persönlichkeit der Salonnière, die die Kultur des Salons bestimmt. Es sind ihre Fähigkeiten zur Kommunikation und zur Zurücknahme der eigenen Persönlichkeit, die selbigen zu einem Ort machen, an dem weniger der Bildungshunger gestillt wird als vielmehr der nach einem offenen Gespräch, das nicht an der Oberfläche bleibt, das echtes Interesse an den Gedanken des Gegenübers erkennen lässt, meinungsfreudig und frei ist. Oder wie es der Schriftsteller Nikolaus Sombart, Mitbegründer der Gruppe 47 und selbst zwischen 1985 und 2007 Betreiber einer Teegesellschaft in Berlin, einmal sagte: „Alles, was ich weiß, verdanke ich der Bibliothek meines Vaters und dem Salon meiner Mutter.“ (von Nadine Kraft)